Beschlussfähigkeit des Parlaments in Zeiten der Pandemie sichern
68. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 10. Dezember 2020
Zu "Vierzehntes Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin"
Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP
Drucksache 18/3179
in Verbindung mit "Zweite Änderung der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin (GO Abghs)"
Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP
Drucksache 18/3180
Steffen Zillich (LINKE):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir ändern hier heute die Verfassung und auch die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses, um die Beschlussfähigkeit des Parlaments auch in Zeiten der Pandemie, in einer Notlage, zu sichern. Wir tun das auf Antrag von fünf Fraktionen dieses Hauses. Wir tun das nach konstruktiver Debatte und gemeinsam. Ich finde, das ist sehr wichtig.
Wir tun das, indem wir für eine Situation vorsorgen und Regelungen treffen, in der nicht gesichert ist, dass die erforderliche Anzahl von Abgeordneten für die Beschlussfähigkeit, die normalerweise gilt, an einer Plenarsitzung teilnehmen kann, entweder weil Abgeordnete erkrankt sind oder weil sie unter Quarantäne stehen oder Ähnliches. Wir senken diese erforderliche Anzahl unter bestimmten Kriterien, auf die ich noch zu sprechen komme, ab. In dieser Lösung, dass das Beschlussfähigkeitsquorum nicht mehr erforderlich sein soll, liegt natürlich auch zugleich die Problematik: Wir weichen von dem Punkt ab, dass parlamentarische Beschlüsse nur ihre Gültigkeit haben sollen, wenn tatsächlich die Mehrheit der Abgeordneten daran beteiligt sind. Das ist nichts Kleines.
Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass in meiner Fraktion die Skepsis groß war, überhaupt an diesem Punkt unsere verfassungsmäßigen Spielregeln zu verändern und damit natürlich auch in Rechte von Abgeordneten einzugreifen.
Ich verrate auch kein Geheimnis, dass diese Skepsis auch dadurch begründet war, dass wir nach unserer Diskussion zumindest lieber nach Wegen gesucht hätten, die ein Zusammentreten auf einem anderen, auf einem elektronischen Wege, die Arbeitsfähigkeit erhalten lassen.
Ich will sagen: An diesem Punkt hatten sich dann natürlich auch die Debatten, die wir im Frühjahr hatten, zwischen den Fraktionen etwas verhakt. Der Verlauf der Pandemiegeschichte, vor allen Dingen in den Wochen nach dem Sommer, hat uns allen gezeigt, dass wir nicht darauf hoffen dürfen, dass wir nicht noch mal in irgendeiner Form vor diese Frage gestellt werden, sondern es war allen klar, dass wir hier eine Lösung finden müssen, und es war auch allen klar, dass das nur funktionieren wird, wenn alle in der Sache verantwortungsvoll und auch bereit sind, einen Schritt auf den anderen zuzugehen. Genau das haben wir als fünf Fraktionen gemacht, in einem sicherlich nicht einfachen Prozess. Aber wir haben jetzt ein Ergebnis vorliegen, das genau diesen wichtigen Punkt, die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes sichert.
Wir haben viel darüber geredet, warum das wichtig ist. Ich will zwei Aspekte nennen. Der erste Aspekt liegt auf der Hand, denn natürlich müssen Gesetzgebung und Grundrechtseingriffe parlamentarisch legitimiert sein, und wenn das Parlament faktisch nicht mehr handlungsfähig ist, dann kann das nicht erreicht werden. Aber es gibt einen weiteren Punkt, gerade im Hinblick darauf, wenn man auf die Debatte und auf die Ausfälle in dieser Debatte, die wir heute als ersten Tagesordnungspunkt hatten, rekurriert. Es ist extrem wichtig, deutlich zu machen, wie der Abwägungsprozess verläuft, wenn es darum geht, Regelungen und Grundrechtseinschränkungen zu treffen. Es liegt in der Natur des parlamentarischen Prozesses, dass es in anderer Art und Weise öffentlich passieren kann, als bei einem rein exekutiven Prozess. Deswegen ist dieser Abwägungs- und Entscheidungsprozess wichtig für eine gesellschaftliche Debatte über das Handeln in Pandemiesituationen überhaupt, und es ist essentiell, damit wir die Akzeptanz und die demokratische Legitimation für das, was wir hier tun, erhalten. Das Parlament muss arbeitsfähig sein.
Uns war wichtig – das ist hier schon gesagt worden –, dass wir bei einer solchen Regelung Missbrauch verhindern müssen. Sie muss befristet sein, sie ist befristet. Sie muss hohe Hürden haben, um eingeschaltet zu werden. Dafür haben wir eine sehr gute Regelung gefunden. Es muss einer Minderheit möglich sein, diese Notlage wieder abzuschalten. Auch dafür haben wir eine sehr gute Regelung gefunden. Es kann nicht sein, dass alle parlamentarischen Entscheidungen einer solchen Absenkung der Beschlussfähigkeit zugänglich sind. Dafür haben wir eine Lösung gefunden. Natürlich kann man damit nicht die Verfassung ändern. Natürlich kann man damit nicht das Parlament auflösen und auch nicht den Regierenden Bürgermeister wählen und anderes. Wir haben zudem gesichert, dass alle Gesetzgebungsentscheidungen, die in einer solchen Sondersituation stattfinden, eine zusätzliche Legitimation – ich will sagen: quasi einer Ratifikation – durch ein vollzähliges Parlament nach der Pandemie erfordern. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass wir das geschafft haben.
Nicht zuletzt – ich habe es angedeutet – war meiner Fraktion wichtig, dass wir auch eine Debatte oder eine Entwicklung in Gang setzen, wo wir eine schwierige Rechtssituation haben –, manche mögen sagen: eine etwas anachronistische aber gleichwohl herrschende Rechtsmeinung haben –, nämlich einen Entscheidungsprozess in die Richtung, dass wir auch elektronische Abstimmungen, soweit es in irgendeiner Form möglich ist und rechtlich vertretbar ist, zulassen. Das haben wir mit den verfahrenden Ausschüssen, soweit es rechtlich vertretbar ist, über die Änderung der Geschäftsordnung hinbekommen. Insofern haben wir hier einen Kompromiss gefunden, der dieses Parlament arbeitsfähig hält und wo tatsächlich alle Fraktionen die Kraft gefunden haben, ihre Bedenken hinten anzustellen und eine gemeinsame Lösung zu finden. – Vielen Dank!