Finanzielle Vorsorge in der Coronakrise
"Wir werden nicht den zum Scheitern verurteilten Versuch unternehmen, uns aus der Krise heraus zu sparen. Nein wir werden jetzt nicht alles auf den Prüfstand stellen, und damit Verunsicherung in die Stadt tragen und auch noch die öffentliche Nachfrage verknappen." sagt Steffen Zillich zum Beschluss des zweiten Nachtragshaushaltes.
68. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 10. Dezember 2020
Zu "Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2020/2021 (Nachtragshaushaltsgesetz 2020/2021 – NHG 20/21)" (Priorität Fraktion Die Linke)
Steffen Zillich (LINKE):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Pandemie beschert uns einerseits gigantische Einnahmeausfälle, und das Land stellt erhebliche Mittel für Schutzausrüstungen, für Tests, für Impfzentren, für die pandemiegerechte Ausgestaltung unserer sozialen Infrastruktur, für Sofort- und Überbrückungshilfen, für den Ausgleich von Einnahmeausfällen bei Landesunternehmen und Trägern, für Digitalisierungsbedarfe in Zeiten reduzierter Kontakte und neuer Kommunikationserfordernisse. Daraus erwächst ein enormer Finanzierungsbedarf, den wir mit diesem Nachtragshaushalt decken. Dabei setzen wir explizit den Kurs fort, auf den sich diese Koalition mit dem ersten Nachtrag verständigt hat.
Ich will den hier noch mal skizzieren: Erstens werden wir nicht den zum Scheitern verurteilten Versuch unternehmen, uns aus der Krise heraussparen zu wollen.
Nein, wir werden jetzt nicht alles auf den Prüfstand stellen, damit Verunsicherung in die Stadt tragen und auch noch die öffentliche Nachfrage verknappen. Das gilt explizit auch für die Bezirke, die wir weiter in der Krise abschirmen. Zweitens: Wir werden die coronabedingten Mehrausgaben und die gigantischen Mindereinnahmen durch notfallbedingte Kreditaufnahmen finanzieren. Drittens: Wir werden das Auflegen neuer Projekte und Umschichtungen im laufenden Doppelhaushalt im Haushaltsvollzug restriktiv handhaben. Viertens: Wir werden Reste und Überschüsse, die sich ergeben, weil coronabedingt Ausgaben nicht getätigt werden können, in einer Rücklage sammeln, damit wir – fünftens – in der Lage sind, Mittel für Investitionen, für Wirtschaftsstützen und konjunkturfördernde Maßnahmen auch über 2021 hinaus bereitzustellen. Das wird nicht reichen, aber es wird dazu beitragen.
Im Konkreten bedeutet das: Wir setzen den erfolgreichen Weg der Soforthilfen fort. Ich will noch einmal daran erinnern: Berlin hat im Frühjahr schnell reagiert, schneller als der Bund und die übrigen Bundesländer. Damit konnten viele Soloselbstständige, Kulturbetriebe, Künstlerinnen und Künstler, Klein- und Kleinstbetriebe im Tourismus, Service und in der Gastronomie, denen von heute auf morgen die Einnahmen weggebrochen sind, zunächst geholfen werden. Berlin hat dabei von Anfang an erkannt, dass es hier auf Schnelligkeit ankommt. Und es hat von Anfang an erkannt, dass es eine Hilfe zum Leben braucht und nicht nur eine Hilfe zur Begleichung von Betriebsausgaben. Alles andere wird der Lebensrealität der genannten Gruppen nicht gerecht.
Die Bundesregierung ist sich dessen wohl mittlerweile bewusst, auch wenn das, was jetzt mit dem Konzept der Neustarthilfe vorgeschlagen wird, eher ein fauler Kompromiss sein dürfte. – Kurzum: Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal bei allen bedanken, die es ermöglicht haben, dass Berlin hier so schnell und so wirksam reagiert hat.
Weitere Sofortmaßnahmen des Bundes und des Landes schlossen sich an. Bereits im ersten Nachtrag haben wir hierfür Geld zur Verfügung gestellt. Der zweite Lockdown schafft eine neue Situation. Wir wissen nicht, wie lange die Beschränkungen konkret dauern werden. Wir haben heute in der Debatte in der Aktuellen Stunde darüber geredet. Aber wir wissen, dass sie hart treffen werden, dass sie wirtschaftlich hart treffen werden, und wir wissen, dass wir weitere Hilfe brauchen werden. Natürlich steht der Bund hier in der Verantwortung, aber die Signale des Bundes sind hier durchaus ambivalent. Einerseits werden neue Hilfsprogramme, zum Beispiel für die Veranstaltungswirtschaft, angekündigt – das wäre dringend nötig –, andererseits wird besonders von der CDU lautstark gefordert, die Rechnung für die Hilfe den Ländern zu präsentieren. Das wäre katastrophal und auch nicht gerade ein Signal der Solidarität zwischen den Ländern. Der Bedarf an Hilfe ist in den Ländern ganz unterschiedlich, und man sollte hier keinen Keil der Spaltung hineintreiben.
Berlin verlässt sich nicht nur auf den Bund, sondern stellt abermals über den Senatsentwurf hinaus 500 Millionen Euro zur Verfügung. Der Senat ist jetzt gefordert, unter Berücksichtigung der Bundeshilfe schnell zu entscheiden, welche Hilfen fortgesetzt werden, welche Hilfen angepasst werden müssen, wo es neue Instrumente braucht und wo Lücken sind. Wenn Betriebe und Institutionen zwar bisher mit Hilfe der Programme noch leben, aber aufgrund des Andauerns von Beschränkungen ohne weitere Hilfe nicht überleben können, dann ist es angesagt, dass wir hier weiter helfen müssen. Was uns weggebrochen ist, bekommen wir nicht wieder. Das brauchen wir aber für die Wirtschaftskraft in dieser Stadt.
Gerade die Kulturwirtschaft durch die Krise zu bringen, ist bei uns eine besondere Herausforderung, ebenso die Veranstaltungswirtschaft. Zum Beispiel sind Stipendienprogramme wichtige Maßnahmen, die fortgesetzt werden dürften, aber es gibt viele andere kleine Maßnahmen, die sicherlich wichtig sind. Vor allem wird es darum gehen, soziale Einrichtungen und Kulturreinrichtungen, aber auch andere pandemiefest zu machen. Und es geht sicherlich auch um Hilfe für Familien in der Krise.
Wir stellen außerdem mit dem Nachtragshaus Mittel für die Einnahmeausfälle der Landesunternehmen bereit. Wir sind interessiert an starken Landesunternehmen. Wir brauchen sie und müssen sie deswegen auch wirtschaftlich in der Krise sichern. Das gilt für die BVG genauso wie für die Messegesellschaft. Das gilt für Kulturbetriebe, für den BER und auch für Krankenhäuser. Dafür stehen insgesamt 320 Millionen Euro zur Verfügung.
Und natürlich werden wir mit dem Doppelhaushalt Bundesprogramme, wenn nötig, kofinanzieren.
Wenn wir über die Beschränkungen in der Pandemie reden, müssen wir immer über die Situation von Menschen reden, die nicht einfach so zu Hause in ihren vier Wänden bleiben können, Menschen, die auf der Straße leben, die in Gemeinschaftsunterkünften, in extremen Wohnverhältnissen leben. Deswegen brauchen wir zusätzliche Unterkünfte, in denen man die Vorgaben des Gesundheitsschutzes einhalten kann. Wir brauchen Quarantänehotels. Und natürlich kostet es mehr, wenn wir Menschen so unterbringen, dass sie auch Abstände einhalten können und gegebenenfalls Quarantäneauflagen eingehalten werden können. Aber wir wollen auch in der Pandemie niemand zurücklassen. Wir wollen eine solidarische Stadt.
Wer das skandalisiert, sagt eine Menge über sich.
Den Schutz von Mieterinnen und Mietern in Milieuschutzgebieten vergessen wir über die Pandemie nicht. Wir füllen den Topf, aus dem wir Zuschüsse für die Ausübung des kommunalen Vorkaufsrechts leisten können, auf. Gerade die letzten Paketkäufe der Deutschen Wohnen und von Heimstaden haben gezeigt, wie effektiv dieses Instrument ist, wenn es gilt, Abwendungsvereinbarungen zu erreichen, die Mieterinnen und Mieter wirksam über Jahre vor Verdrängung schützen. Das können wir aber nur, wenn wir tatsächlich bereit sind, den Vorkauf auch auszuüben, und der Immobilienmarkt davon ausgehen muss, dass wir das jederzeit tun können und werden. Dafür haben wir jetzt vorgesorgt.
So regelt der Nachtragshaushalt, was für den Augenblick nötig ist. Aber wir sind jederzeit in der Lage nachzusteuern und haben deshalb den Senat aufgefordert, einen weiteren Nachtragshaushalt einzubringen, wenn die Lage es erfordern sollte, etwa weil die Einnahmen sinken, weil wir weitere Maßnahmen finanzieren müssen oder weil es mehr Geld für die Rettung von Landesunternehmen braucht.
Aber, sehr geehrte Damen und Herren, eine Aufgabe konnten wir mit diesem Nachtragshaushalt nicht lösen. Meine Fraktion hat darauf gedrängt, aber wir konnten uns in der Koalition nicht darauf verständigen. Worum geht es? – Wir haben folgendes Problem: Wir wissen jetzt schon, dass die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zum Teil erst in den nächsten Jahren sichtbar werden, wenn die pandemische Notlage hoffentlich überwunden sein wird. Wenn zum Beispiel die Regelungen zum Kurzarbeitergeld ebenso wie die Regelungen zum Insolvenzrecht auslaufen, müssen wir eine Welle von Arbeitslosigkeit und Firmenpleiten befürchten. Zusätzlich müssen wir einen strukturellen Anpassungsbedarf wichtiger Berliner Wirtschaftsbereiche befürchten, die in der Krise besonders hart betroffen sind – Tourismus, Messe, Kultur, Veranstaltungsgeschäft, Gastronomie, aber auch Einzelhandel. Wir wissen nicht genau, ob es dort so weitergehen wird, wie vor der Krise; es ist eher zu bezweifeln. Wir stehen also vor einer Pandemiefolgekrise nach der Pandemiekrise. Die Notlage wirkt in ihren Folgen fort, und wir müssen dann handeln können.
Gleichzeitig werden sich aber die Einnahmeausfälle wegen der Pandemie, also die einnahmeseitigen Folgen der Pandemienotlage, weit über das Jahr 2021 hinaus erstrecken – rund 2 Milliarden Euro pro Jahr weniger in den Jahren ab 2022. Gerade in diesem Jahren tut sich hier also ein Haushaltsloch auf. Die Schuldenbremse – und es wird leider damit zu rechnen sein, dass es sie dann noch gibt, auch wenn sie dann kaum noch einer wollen wird – wird dann verhindern, dass wir Investitionen durch Kreditaufnahmen finanzieren, und ihr Konjunkturausgleichsmechanismus wird uns im Gegenteil in dieser Krise nach der Krise vorgaukeln, wir hätten eine Hochkonjunktur und müssten noch Geld zurücklegen. Damit werden wir uns gesondert auseinandersetzen müssen; wir werden das sicherlich auf die Agenda setzen.
In jedem Fall aber ist es aus unserer Sicht essenziell, dass wir uns jetzt Gedanken machen, wie wir unsere Investitions- und Zukunftsfähigkeit sichern, denn wir haben noch nicht einmal den Investitionsstau der vergangenen Jahr zehnte abgebaut. Andere Länder machen es uns vor, sie tun das. Sie legen Investitionsfonds auf, um die Folgen der Notlage zu bewältigen. Bayern, Hessen, Sachsen, um nur einige zu nennen, versetzen sich so in die Lage, auch über das Jahr 2021 hinaus Investitionen in die Infrastruktur zu finanzieren und Pandemiefolgen zu bekämpfen. Wenn wir das nicht wenigstens in dem Maße tun, wie andere Länder es sich leisten, werden die Berlinerinnen und Berliner den Unterschied in der Beschaffenheit der öffentlichen Infrastruktur zu sehen bekommen und erleiden müssen.
Hier rechtzeitig zu handeln, wird für Berlin enorm wichtig sein. Die CDU kann bei ihren Südländern, die SPD in Sachsen, die Grünen in Hessen nachfragen. Wie ich gehört habe, ist jetzt auch die Bundestagsfraktion der Grünen offen für dieses Thema. Wir werden dafür sorgen, dass es nicht in Vergessenheit gerät; insbesondere ein Nachlesen beim DIW am heutigen Tage wird dort auch weiterhelfen.
Wir werden weiter darüber reden müssen, wer die Krise zahlt – die abhängig Beschäftigten durch höhere Sozialabgaben, die Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, durch Einschnitte in den Sozialstaat? – Wir schlagen etwas anderes vor. Wir schlagen eine Vermögensabgabe vor.
Große Vermögen mit einer einmaligen Abgabe, gestreckt auf viele Jahre heranzuziehen, wäre sicherlich der gerechte Weg bei dieser Frage. – Danke schön!