Haushalt: Nicht versuchen, aus der Krise herauszusparen
"Wir werden nicht den zum Scheitern verurteilten Versuch unternehmen, uns aus der Krise herauszusparen.
Nein, wir werden jetzt nicht alles auf den Prüfstand stellen und damit eine gigantische Verunsicherung in die Stadt tragen und auch noch die öffentliche Nachfrage verknappen. Das gilt explizit auch für die Bezirke, die wir mit diesem Haushalt abschirmen." sagt Steffen Zillich zum Nachtragshaushalt.
60. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 04. Juni 2020
Zu Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2020/2021 (Nachtragshaushaltsgesetz 2020 – NHG 20) (Priorität der Fraktion Die Linke)
Steffen Zillich (LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir treffen unter diesem Tagesordnungspunkt zwei wichtige Beschlüsse, wichtige Entscheidungen. Erstens: Die Notlagenfeststellung. Wir schaffen damit die Möglichkeit für eine Kreditaufnahme in der Krise, indem wir eine Notlage entsprechend § 2 des Berliner Schuldenbremsenumsetzungsgesetzes und gleichzeitig eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gemäß Artikel 87 der Berliner Verfassung feststellen. Wir beziehen uns dabei auf die Wirtschaftsprognosen der Bundesregierung und die Steuerschätzung. Die Feststellung ist evident. Ich kenne keine ernstzunehmende Stimme, die das anders sieht. Deshalb erübrigt sich hier eine weitere Argumentation.
Ein Wort zu dem, was die AfD mit ihrem Änderungsantrag will: Sie möchten oder beantragen unter anderem, dass die Notlage in zwei Monaten noch mal festgestellt werden muss. Das ist Unsinn, schon denklogisch. Hier wird die Konstruktion der Notlagenfeststellung verkannt. Es geht nicht um die Notlage an einem Stichtag. Es geht auch nicht um die Kreditaufnahme an einem Stichtag, nicht um die Kreditaufnahme an jedem zweiten Dienstag und auch nicht nur bei Vollmond, sondern der Bezug muss immer ein Haushaltsjahr sein. Für diesen Zeitraum wird eine Notlage festgestellt, und über diesen Zeitraum betrachtet darf es eine Neuverschuldung ausnahmsweise geben.
Der AfD-Antrag ist Quatsch, den müssen wir nicht weiter beachten.
Aufbauend auf dieser Notlagenfeststellung beraten wir heute den ersten Nachtrag in zweiter Lesung und werden ihn beschließen. Als der Senat ihn eingebracht hat, adressierte er die dringendsten Coronanotwendigkeiten: notwendige Beschaffung von Schutzausrüstungen, medizinischem Gerät, Aufbau medizinischer Kapazitäten, Liquiditätshilfen für Landesbeteiligungen und natürlich die Hilfsprogramme für diejenigen, deren Existenz auf dem Spiel stand. Ich will noch mal betonen, dass es wichtig war, dass Berlin schnell reagiert hat und dass es so reagiert hat, wie es für Berlin nötig ist. Wir haben viele Kulturbetriebe, viele Künstlerinnen und Künstler, viele Menschen, die in Tourismus, Service und Gastronomie arbeiten. Wir haben besonders viele Klein- und Kleinstbetriebe und besonders viele Soloselbstständige. Deswegen brauchen die die Hilfe natürlich auch zum Leben und nicht nur für Betriebsausgaben. Die Schnelligkeit und die Entschiedenheit, mit der hier reagiert worden ist, hat viele überrascht, und ich will mich bei allen bedanken, die dies ermöglicht haben.
Wenn dabei Vorurteile gelitten haben, dann ist das nicht schlimm. Dies alles ist weiterhin Gegenstand dieses Nachtrags. Die Koalition hat sich allerdings entschieden, ihn um weitere gewichtige Themen anzureichern. Das ist in diesem Umfang durchaus nicht normal und deshalb besonders begründungsbedürftig.
Corona und die Coronafolgen bedeuten neben vielem anderen vor allem für viele Unsicherheit: für Menschen in Bezug auf Beruf und Einkommen, für die Lebensgestaltung, für die soziale Situation, für die Wirtschaft, für viele Institutionen und Initiativen, die in ihrer Existenz bedroht sind. In einer solchen Situation war es für die Koalition wichtig, dass wir schnell Grundlinien für die Bewältigung dieser Krise beschließen, mindestens finanzpolitisch Berechenbarkeit schaffen, und deswegen haben wir diese Grundlinien diesem Nachtrag hinzugefügt.
Die Grundlinien sind Folgende: Erstens, wir werden nicht den zum Scheitern verurteilten Versuch unternehmen, uns aus der Krise herauszusparen.
Nein, wir werden jetzt nicht alles auf den Prüfstand stellen und damit eine gigantische Verunsicherung in die Stadt tragen und auch noch die öffentliche Nachfrage verknappen. Das gilt explizit auch für die Bezirke, die wir mit diesem Haushalt abschirmen.
Ja, die Schwerpunkte der Koalition, die wir mit dem Doppelhaushalt gesetzt haben: Schulen sanieren und bauen, Verkehrswende, Wohnungsbau, leistbare Mieten, leistungsfähiger öffentlicher Dienst, eine Stadt für alle Bewohnerinnen und Bewohner, die für alle leistbar ist, wo niemand um seinen Platz fürchten muss, eine weltoffene und solidarische Stadt auch für Menschen in Not –, diese Schwerpunkte haben Bestand.
Die zweite Grundlinie: Wir werden die coronabedingten Mehrausgaben und die gigantischen Mindereinnahmen in den Jahren des Doppelhaushaltes zunächst durch Kreditaufnahmen finanzieren. Deshalb erteilen wir mit diesem Haushalt die Ermächtigung, neue Kredite in Höhe von 6 Milliarden Euro aufzunehmen. Wir versehen das mit einem Tilgungsplan, und ich verrate kein Geheimnis, dass sich unsere Fraktion eine längere Laufzeit durchaus gewünscht hätte.
Die dritte Grundlinie: Wir werden das Auflegen neuer Projekte und Umschichtungen im Haushaltsvollzug restriktiv handhaben und dadurch Puffer heben.
Die vierte Grundlinie: Wir werden Reste und Überschüsse, die sich ergeben, weil coronabedingt Ausgaben nicht getätigt werden können und Projekte liegenbleiben, in einer Rücklage sammeln.
Damit werden wir als fünfte Grundlinie in der Lage sein, Mittel für wirtschaftsstützende und konjunkturfördernde Maßnahmen verfügbar zu machen. Hier liegt sicher eine besondere Verantwortung beim Bund, aber wir wissen um die Besonderheiten Berlins. Der Bund scheint jetzt, ohne alles schon endgültig bewerten zu wollen, vor allem die große Gießkanne ausgepackt zu haben. Steuererleichterungen sind das Stichwort. Das wird bei vielen Berliner Problemen nicht helfen, und wir werden mit eigenem Geld ergänzen müssen, damit uns hier nicht das Rückgrat der Wirtschaft wegbricht.
Deswegen müssen wir hier eigene Mittel einsetzen. Mit den heute zu beschließenden Grundlinien erarbeiten wir uns diese.
Weitere Einzelmaßnahmen werden wir mit dem zweiten oder weiteren Nachträgen diskutieren. Das betrifft auch Handlungsnotwendigkeiten für das nächste Jahr. Wir sind dann auch in der Lage, gegebenenfalls den Finanzierungsrahmen und die Perspektive zu erweitern. Unabhängig davon und weil wir schnelles Handeln ermöglichen wollen, haben wir mit diesem Nachtrag dem Senat weitere 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um Soforthilfen zu verlängern oder zu justieren. Das betrifft die Schwerpunkte mittelständische Wirtschaft, also die jetzigen Soforthilfen IV und V, das sei hier ausdrücklich gesagt, um Missverständnisse zu vermeiden. Das betrifft den Schwerpunkt Hilfe für Familien, den Bereich Hilfe für Soloselbständige und auch das Thema, wie im Bereich von Gewerbemieten durch öffentliche Unternehmen geholfen werden kann. Wir erwarten vom Senat, dass er hier schnell weiterhilft, nachsteuert, auf Bundeshilfen abstimmt und Lücken füllt, wo es nötig ist. Wir werden darüber hinaus mit weiteren Mitteln für den Ankauf von Immobilien und Grundstücken uns in die Lage versetzen, antizyklisch Gelegenheiten zu nutzen, um die öffentliche Infrastruktur zu stärken.
Mit diesem Setting stellt die Koalition die Weichen für einen finanzpolitischen Weg durch die Krise, die nicht nur auf Sicht beschritten wird, sondern mittelfristig trägt. Die Grundfrage, wer für die Kosten der Krise bezahlt, wird sicherlich vor allem auf Bundesebene beantwortet werden. Das Gerechteste wäre in der Tat, wenn die Kosten der Krise in einem Bund-Länder-Fonds gebündelt und auch darüber finanziert werden würden. Wir würden uns sehr wünschen, dass der Senat und auch die Koalition in dieser Richtung auf Bundesebene aktiv werden. – Vielen Dank!