Nein zu »Pro Reli«

Steffen Zillich

»Pro Reli« fordert eine Entscheidung zwischen Religions- oder Ethikunterricht. Da ein Zwang zur Wahl aber keine Freiheit sondern eine Nötigung ist, lehnen wir eine Änderung des Schulgesetzes ab.

42. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin in der 16. Wahlperiode zum Dringlichen Antrag »Änderung des Schulgesetzes für das Land Berlin zur Einführung des Wahlpflichtbereichs Ethik/Religion« und »Ablehnung der Zielsetzung des Volksbegehrens "Pro Reli"«

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Tat, wir haben ein Volksbegehren »Pro Reli« gehabt. Das hat eine erhebliche Unterstützung erfahren, allerdings auch aufgrund dessen, dass wir einfachere Sammlungs­methoden wollten. Die haben sie genutzt, über Weihnachten in verhältnismäßig vollen Kirchen. 265 000 Unterschriften sind zu respektieren. Jetzt hat das Volk das Wort. Denn das Gute an dem, was wir mit mehr direkter Demokratie, mit Volksentscheiden eingeführt haben, ist ja nicht, dass Umfragen entscheiden, ist auch nicht, dass Unterschriftensammlungen entscheiden, sondern ist, dass Volksabstimmungen entscheiden.

[Beifall von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Genau dafür legen wir jetzt die Grundlage. Das Parlament hat die Möglichkeit, mit seiner Legitimation, die durch Wahlen entstanden ist, zu sagen, wir übernehmen das Anliegen oder wir übernehmen das Anliegen nicht. Dazu ist es vollständig berechtigt. Dabei ist auch nichts Schlechtes, das souverän zu entscheiden, und dann hat das Volk das Wort. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es eine kluge Entscheidung treffen wird, auch wenn ich nicht unbedingt sagen kann, dass ich mich auf diese Auseinandersetzung freue. Ich habe, glaube ich, schon einmal von dieser Position aus gesagt, dass solche Kampagnen bei Volksabstimmungen nicht immer unbedingt Horte der Komplexität und der Aufklärung sein werden. Sicherlich wird es unausweichlich sein, dass es in dieser Kampagne zu der einen oder anderen Verletzung kommt, aber gut, wir haben diese Auseinandersetzung, und jetzt werden wir sie führen.

Jetzt werden wir auch eine vernünftige Entscheidung bekommen. Ich sage, wofür wir werben: Wir werben dafür, dem Anliegen von »Pro Reli« nicht zuzustimmen, weil es eben nicht um Wahlfreiheit, sondern Wahlzwang geht,

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

weil es um den Zwang geht, entweder Religionsunterricht machen zu können oder, wenn man Religionsunterricht macht, das Fach Ethik abwählen zu müssen.

Wir werden dem Anliegen von »Pro Reli« nicht zustimmen, weil es eine bewährte Berliner Regelung abschaffen möchte, nämlich die bewährte Berliner Regelung des freiwilligen Religions- und Weltanschauungsunterrichts,

[Dr. Martin Lindner (FDP): Bleibt doch freiwillig!]

der seinerzeit mit Unterstützung der Liberalen eingeführt worden ist. Das ist eine gute Regelung, weil sie deutlich macht, dass Religion eine freiwillige Angelegenheit ist und weil es auch eine gute Regelung für eine multireligiöse und multikulturelle Stadt ist. Denn worauf kommt es im Umgang mit Religion an? – Auf Gleichbehandlung und auf Flexibilität, und das ist bei einer freiwilligen Regelung besser durchzusetzen.

Wir werden diesem Anliegen nicht zustimmen, weil wir nicht der Auffassung sind, dass es eine gute Idee ist, zwei grundsätzlich unterschiedliche Dinge – wie es »Pro Reli« macht – zu Komplementären, zu Alternativen zu erklären, nämlich einerseits einen Bekenntnisunterricht, einen Religions- und Weltanschauungsunterricht, der seine Berechtigung hat, und andererseits einen weltanschaulich neutralen integrativen Ethikunterricht. Dazwischen zu wählen, ist nicht sinnvoll.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Vereinzelter Beifall der SPD und der Grünen]

Dass diese beiden Fächer eine gänzlich unterschiedliche Funktion haben, sieht auch »Pro Reli« so. Denn wenn man sich die Konsequenz ihres Gesetzentwurfs anguckt, sieht man: Das eine ist ein Bekenntnisunterricht – ganz deutlich so dargestellt –, und das andere ist ein integratives Fach, wo es um Verständigung, um weltanschaulich-religiöse Neutralität geht. Welchen Sinn soll es machen, dazwischen zu wählen, und warum sollen nur die einen in den Genuss eines integrativen Fachs kommen und die anderen nicht?

[Beifall bei der Linksfraktion –
Vereinzelter Beifall der SPD und der Grünen]

Zum Dritten: Wir sagen Nein zum Wahlzwang und sind gegen das Anliegen von »Pro Reli«, weil es eine ganz wichtige Berliner Errungenschaft, nämlich den gemeinsamen Ethikunterricht, abschaffen will. Es ist eben so, dass wir in einer Stadt, wo so viele Nationalitäten zusammenleben, wo so viele unterschiedliche kulturelle Hintergründe zusammenkommen, nicht darauf vertrauen können, dass sich Konventionen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, gegenseitiger Respekt, Werte des friedlichen Zusammenlebens automatisch herstellen können. Wir müssen etwas dafür tun. Das muss die Schule tun, und deswegen haben wir den Ethikunterricht eingerichtet.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Genau diese gegenseitige Verständigung kann eben nicht funktionieren, wenn man die Kinder zwingt, sich nach ihrem Bekenntnis aufzuteilen und nicht mehr gemeinsam zu unterrichten. Das ist etwas grundsätzlich anderes, ob sich Christen untereinander über die Verständigung mit Muslimen unterhalten oder ob Christen und Muslime das zusammen in einem Fach tun müssen. Letzteres ist viel schwieriger, aber Letzteres brauchen wir.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Und weil wir das brauchen und nicht aufgeben dürfen und weil der Ethikunterricht – auch wenn er noch so jung ist – mit den bisherigen Erfahrungen sehr ermutigend ist und deutlich macht, welche große Rolle er spielen kann, deswegen lehnen wir das Volksbegehren von »Pro Reli« und in der Konsequenz auch Ihren Gesetzentwurf ab.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]