„Dringend notwendige Investitionen für Berlin statt symbolischer Schuldentilgung“

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Wenn es um Finanzen geht, wenn Steuermittel ausgegeben werden, dann erwarten die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt mit gutem Recht, dass die Politik sich ernsthaft damit befasst und dass es seriös dabei zugeh.

aus dem Wortprotokoll

72. Sitzung
Aktuelle Stunde

Ich rufe auf die

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung
des Abgeordnetenhauses von Berlin

„Dringend notwendige Investitionen für Berlin statt symbolischer Schuldentilgung“

(auf Antrag der Fraktion Die Linke)

in Verbindung mit

lfd. Nr. 25:

Zweiter Nachtragshaushalt für das Land Berlin für das Jahr 2015

Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 20. November 2015
Drucksache 17/2580

zum Antrag der Fraktion Die Linke
Drucksache 17/2565

Die Fraktionsgeschäftsführer haben sich darauf verständigt, diese Beschlussempfehlung bereits heute dringlich zu behandeln. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Ich hatte den Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/2565 nämlich vorab an den Hauptausschuss überwiesen – und darf nachträglich Ihre Zustimmung feststellen.

Für die Besprechung der Aktuellen Stunde und die Beratung des Antrages steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion Die Linke. – Frau Dr. Schmidt, bitte schön. Sie haben das Wort.

Dr. Manuela Schmidt (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! – Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wenn es um Finanzen geht, wenn Steuermittel ausgegeben werden, dann erwarten die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt mit gutem Recht, dass die Politik sich ernsthaft damit befasst und dass es seriös dabei zugeht – insbesondere bei denen, die die Regierungsmehrheit stellen. Doch mit Seriosität hat, was uns SPD und CDU hier Anfang der Woche präsentiert haben, leider herzlich wenig zu tun.

[Beifall bei der LINKEN]

Seit Monaten befassen wir uns intensiv mit dem Haushalt, und seit Wochen gibt es eine verlässliche Steuerschätzung. Aber es gibt nichts, was die Koalition gemeinsam vorlegt. Da ging es offenbar auch nicht besser, als in einer Nacht- und Nebelaktion eben mal das Fell des Bären zu verteilen. Was muss das für ein wildes Geschacher gewesen sein? – Danach verkündete SPD-Fraktionschef Saleh gegen den Sachverstand in den eigenen Reihen und im Kita-Bündnis Kostenfreiheit bis 2018. Wie kurzsichtig, wo doch jeder erdenkliche Euro gebraucht wird, um für ausreichend Personal in den Kitas zu sorgen und dafür, dass 20 000 neue Plätze geschaffen werden, die die Stadt dringend braucht.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Und Herr Graf tröstete seine CDU mit einem Sicherheitspaket über die Demütigungen der letzten Wochen hinweg, hinter dem sich offenbar allerlei verbirgt. Wofür es wirklich gebraucht wird, weiß in der Koalition wiederum keiner, da wir es laut Senator Henkel in Berlin auch nicht mit einer veränderten Sicherheitslage zu tun haben. Das ist doch absurd!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN –Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Ich möchte das hier auch gar nicht weiter vertiefen, dafür ist in den Haushaltsberatungen noch ausführlich Gelegenheit. Aber mit einem Plan oder gar mit einer Idee für Berlin hat das alles nichts zu tun.

[Beifall bei der LINKEN]

Sie behandeln uns in der Opposition bei solchen Gelegenheiten ja gern von oben herab, aber das haben Sie umsonst. Diese Stadt hat das Recht auf eine Regierung, die seriös arbeitet und Verantwortung wahrnimmt, die dafür sorgt, dass unsere Stadt nicht schlechter, sondern besser funktioniert auch für die vielen, die hier täglich neu ankommen. SPD und CDU zusammen können das ganz offensichtlich nicht.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Wir als Opposition nehmen unsere Verantwortung wahr. Denn was die Steuereinnahmen betrifft, hat Berlin eine besondere Chance – und wir wollen nicht, dass die spurlos verstreicht. Rund 500 Millionen Euro wird der Jahres­überschuss 2015 betragen. Die Einnahmen aus Steuern und die Aufstockung bei der Bundesbeteiligung Asyl werden zusammen rund 600 Millionen Euro über dem gültigen Nachtragshaushalt liegen. Und die Zinsausgaben werden erneut um rund 400 Millionen Euro unter den Ansätzen des gültigen Haushaltsplanes bleiben. Das sind zusammen – leicht gerechnet, das kann jeder – 1 Milliarde Euro. Selbst unter Würdigung von Mehrausgaben im Personalbereich, bei den Zuwendungen oder bei den Ausgaben für die Flüchtlinge bleibt ein großer Spielraum, um sofort zu handeln.

 Wir haben eine Idee, wie das geht. Wie wollen, dass der Senat einen zweiten Nachtrag für das laufende Jahr vorlegt. Der muss nicht dick sein, der ist auch schnell gemacht, und das schafft der Senat bis zur letzten Lesung des Haushalts im Parlament am 10. Dezember. Wir wollen die 500 Millionen Euro Überschüsse dieses Jahres komplett und sofort investieren. Wir wollen dieses Geld nicht wieder bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in einem Sondervermögen parken und die Hälfte davon im Altschuldenloch versenken,

[Beifall bei der LINKEN]

nur damit der Senat bei einer 59 vor dem Komma landet statt bei 60 Milliarden Euro Altschulden. Das ist Symbolpolitik. Es ist angesichts des bestehenden Sanierungsstaus in unserer Stadt und der insgesamt niedrigen Zinsbelastung volkswirtschaftlicher Unsinn, und es ist kein Wert an sich.

[Beifall bei der LINKEN]

Die volle Summe investieren zu können, bedeutet dagegen, dass wir sofort in bessere Flüchtlingsunterkünfte, in Wohnungen und auch in die energetische Sanierung von Gebäuden investieren können. Und wir können mit einem Nachtragshaushalt noch etwas Kluges tun: Wir können die Rücklagen für den BER jetzt auffüllen. Was nicht heißt, dass wir die in Aussicht gestellten Darlehen per se freigeben wollen – im Gegenteil. An dem von uns geforderten transparenten Verfahren im Rahmen des Haushalts halten wir ausdrücklich weiter fest. Aber wir gewinnen Spielräume für den Doppelhaushalt, und die brauchen wir auch.

 Wir könnten Berlin-Energie beispielsweise endlich bieterfähig machen. Sie erinnern sich an die Absichtserklärung der Koalition zur Rekommunalisierung von Strom und Gas in der Stadt? – Dann bitte schön, nutzen Sie doch die Jahresüberschüsse sofort, um Berlin Energie mit ausreichend Kapital und Personal auszustatten!

[Beifall bei der LINKEN –
Beifall von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Diese sofortige Kapitalzuführung an die Berliner Stadtwerke würde die Chancen im Vergabeverfahren sprunghaft verbessern. Eine Investition in die Zukunft, jetzt machbar! Packen Sie es an!

 Womit wir bei der Herausforderung wären, der sich zumindest die SPD mit aller Kraft stellen will: Dass der Senat aus dem Überschuss des Jahres 100 Millionen Euro für mobile Unterkünfte für Flüchtlinge bereitstellen will, unterstützen wir ausdrücklich. – Aber unsere Meinung zu SIWA ist bekannt, und die bisherigen Ergebnisse geben uns recht. Es steht zwar Geld für Investitionen zur Verfügung, aber es wird nicht ausgegeben. Wie viel von den 496 Millionen Euro haben Sie denn bisher investiert? – Ich sage es Ihnen: weniger als 10 Prozent, und das beinah ausschließlich für die Beschaffung von U-Bahn-Zügen! Nicht dass wir keine U-Bahn-Züge brauchen, im Gegenteil! Doch die Stadt wächst nicht nur beim öffentlichen Personennahverkehr, sie wächst überall – auch im Kita- und im Schulbereich.

 Sicher, vieles liegt auch an den Bezirken. Kein Bezirk hat es bisher geschafft, mehr als 1 Million zu investieren, eher deutlich weniger. Ein Bezirk hat trotz großem Sanierungsstau sogar noch nicht einen Euro für die Schulen ausgegeben. Aber, Herr Schneider, glauben Sie jetzt nicht, dass ich in Ihre oft bemühte Bezirksschelte einstimme. Die Koalition wusste von Anbeginn – und das war auch Kalkül –, dass die schönen Millionen gar nicht investiert werden können, weil immer wieder auch das Personal fehlt, das dafür gebraucht wird.

[Torsten Schneider (SPD): Sie wollen doch gerade selber investieren! Das ist doch absurd!]

Und SIWA bleibt das falsche Instrument.

[Beifall bei der LINKEN]

Und die Berlinerinnen und Berliner sind doch nicht blöd. Die merken doch, wenn Sie erst im Wahljahr wieder anfangen, das Füllhorn auszuschütten. Das ist doch ein durchsichtiges Spiel.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Es hilft der Stadt nicht weiter, und es ist eben auch keine seriöse Politik.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Es fehlt noch immer ein Plan des Senats, in welcher Zeit und mit welchen Maßnahmen er schrittweise den Sanierungsstau abbauen und gleichzeitig der wachsenden Stadt gerecht werden will. Mit einem zweiten Nachtragshaushalt 2015 könnten wir gleich zwei wichtige Dinge tun: Zum einen könnten wir sofort investieren und zum Zweiten die in den nächsten beiden Jahren geplanten Mittel für den BER freischaufeln und für andere notwendige Investitionen in die wachsende Stadt, in die technische und soziale Infrastruktur einsetzen. Das müsste doch im Interesse aller sein. Und es könnte der Einstieg in eine nachhaltige und kontinuierliche Investitionsstrategie sein.

Beweisen Sie, dass Sie mehr drauf haben als Wahlkampfgeschenke verteilen! Es liegt doch an Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU zu beweisen, dass Sie mehr können, als dringend notwendige Entscheidungen wieder nicht zu treffen. Fordern Sie mit uns den Senat auf, einen zweiten Nachtragshaushalt für dieses Jahr vorzulegen! Dafür braucht es auch keine Nachtsitzung, und es ist allemal planvoller als eine Gießkanne voller Gefälligkeiten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

 Präsident Ralf Wieland: Danke schön, Frau Kollegin! –

...

 Präsident Ralf Wieland:

– In der zweiten Runde hat sich für die Linke Herr Kollege Zillich noch mal gemeldet; eine Minute, fünf Sekunden.

 Steffen Zillich (LINKE):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen von der Koalition! Das, was Sie erzählt haben von 90 und 120 Milliarden Euro Schulden, was das Programm der Opposition sei, ist natürlich grober Unfug, und das wissen Sie auch.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Sie haben es ja auch nicht mit einem Argument unterlegt. Nein, es geht um die Frage – und da danke ich Herrn Kollatz-Ahnen, denn er hat diese Frage so angenommen –, wie schafft man es, mehr Investitionen umzusetzen, mehr Geld für Investitionen bereitzustellen, ohne zusätzliche Schulden aufzunehmen. Und genau das ist die Frage, die wir über diesen Nachtragshaushalt stellen.

[Beifall bei der LINKEN]

Herr Kollatz-Ahnen! Sie haben Gründe angeführt, in der langfristigen Finanzplanung – über die man sicherlich diskutieren kann –, man muss aber auch anmerken, dass das, was Sie gesagt haben, sich in Ihrer Finanzplanung nicht widerspiegelt.

[Senator Dr. Matthias Kollatz-Ahnen: Doch!]

– Nein, diese Schuldenabbaupfade spiegeln sich darin nicht wider. Uns geht es darum, einfach zu sagen: Es gibt eine Viertelmilliarde, die wir entweder tilgen, wenn wir es so lassen, oder aber für zusätzliche Investitionen benutzen. Sie wollen die symbolische 59 vor dem Komma haben, wir sagen: Wir wollen dafür Spielräume schaffen, um Schulen zu sanieren, um in die energetische Sanierung von Landesimmobilien zu investieren und dadurch auch einen Haushaltseffekt zu erzielen. Das spart Geld. Wir sagen, wir wollen jetzt investieren und nicht das Geld in die symbolische Schuldentilgung stecken.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

 Präsident Ralf Wieland:

Danke schön! –