Individuelles Lernen steht im Mittelpunkt

Die Schule wird reformiert. Mit Schulstrukturreform wird zunächst einmal das dreigliedrige Schulsystem aufgegeben.

51. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin in der 16. Wahlperiode zum Antrag »Ein Bildungskonsens für die Hauptstadt – Schulstrukturreform breit diskutieren –  langfristige Lösung anstreben«

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Tesch! Herr Mutlu! Sie haben recht, man fragt sich, was der Antrag jetzt soll. Wir stehen nicht an dem Beginn einer Debatte. Die Debatte läuft längst. Sie ist vielleicht nicht sehr glücklich gestartet, aber sie läuft, und das ist gut. Wir sind jetzt an dem Punkt, dass wir die Debatte inhaltlich führen müssen und nicht mehr an dem Punkt, dass wir eine Debatte über die Debatte führen sollen, wie es der Antrag der CDU fordert.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Genau!]

Deswegen ist es mir noch einmal wichtig zu sagen, worum es inhaltlich eigentlich geht. Wir wollen mit dieser Reform auf die zentralen Defizite, die uns spätestens seit PISA immer wieder ins Stammbuch geschrieben werden, reagieren. Deswegen ist es Ziel dieser Reform, dass weniger Kinder die Schule ohne Abschluss verlassen. Es müssen deutlich mehr Kinder qualifizierte Abschlüsse bis zum Abitur machen. Der Zusammenhang zwischen sozialem Migrationshintergrund und Bildungschancen eines Kindes muss überwunden werden.

Deswegen gehen wir mit der Reform das an, was laut Mehrheit der Wissenschaft und internationalen Organisationen ein wichtiger Grund für die Bildungsdefizite ist, nämlich die Gliederung des Schulsystems. Das kommt eher zu spät als zu früh. Deshalb ist der Kern der Reform, dass zukünftig alle weiterführenden Schulen alle Abschlüsse bis hin zum Abitur anbieten. Im Alter von elf Jahren wird dann nicht mehr über die Lebensperspektive von Kindern entschieden. Die Aufteilung, du wirst Akademikerin, du wirst Facharbeiter und du hast eigentlich keine Chance, findet dann nicht mehr statt.

[Beifall bei den Grünen]

Es gibt dann nach der Grundschule die Wahl zwischen zwei Schulen, einerseits dem Gymnasium, das aufs Tempo setzt mit wenig Zeit für individuelle Förderung, wo Sitzen bleiben droht und der integrierten Sekundarschule andererseits, die mit Ganztagsbetrieb arbeitet und zu gleichen Abschlüssen führt und wo individuelles Lernen und Förderung im Mittelpunkt stehen.

Wir haben hier im Parlament Eckpunkte für diese Schulstrukturreform diskutiert. Wir haben sie vor der Sommerpause beschlossen. Wir haben den Senat mit der Umsetzung beauftragt, und wir haben ihn beauftragt, die notwendigen Gesetzesänderungen dem Parlament zur Beratung vorzuschlagen. Das hat der Senat jetzt getan. Wir und die Öffentlichkeit haben nun genug Zeit, dieses zu diskutieren und abzuwägen.

Jetzt wieder alles auf null zu setzen hieße, eine solche notwendige Reform um Jahre zu verschieben und die Probleme hinzunehmen, um deren Bewältigung es bei der Reform geht.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Es hieße, noch jahrelang, Kinder auf Hauptschulen zu schicken, in dem Wissen, dass dies trotz großen Engagements der Lehrkräfte und trotz bester Ausstattung oft Chancenlosigkeit bedeutet. Es würde aber vor allem überhaupt nichts gegen die Verunsicherung tun, sondern sie eher noch verstärken. Es würde zu Recht als »rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln« wahrgenommen. Das wäre dem Erfolg keiner Reform zuträglich.

Was die Notwendigkeit, die Grundsätze und die Ziele der Reform betrifft, haben wir auch eine breite parlamentarische Mehrheit. Eine politische Kehrtwende, wie Sie sie befürchten und weshalb Sie einen Konsens haben wollen, wäre realistischerweise in den nächsten Jahren allenfalls denkbar, wenn Jamaika eine Mehrheit bekäme. Allerdings glaube ich nicht, dass dies geschieht. Auch dann wäre es nur möglich, wenn die Grünen Jamaika zuliebe, einer solchen Kehrtwende zustimmen würden, was sie keinesfalls tun würden, liebe Grüne, das nehme ich doch an.

Wir haben auch die Situation – es ist schon genannt worden –, dass der RdB zugestimmt und sich im Grundsatz damit einverstanden erklärt hat. Der Landesschulbeirat hat es im Grundsatz begrüßt. Die IHK hat es im Grundsatz begrüßt. Die GEW hat es im Grundsatz begrüßt. Am Ende ist jede Reform eine politische Entscheidung. Das kann uns auch kein Bildungskongress abnehmen.

Jetzt geht es darum, über die Punkte zu diskutieren, über die noch Uneinigkeit besteht. Das sind keine geringen. Es geht darum, die Ausstattung zu sichern, es geht darum, die Schulen in der Reform zu unterstützen, es geht darum, in der Öffentlichkeit darüber aufzuklären, insbesondere die Schülerinnen und Schüler und die Eltern, was diese Schulreform bedeutet, und dafür zu werben. Das alles geht nicht, wenn wir jetzt sagen: Vergesst, was bisher war; wir fangen noch einmal neu an!

Deswegen muss die Reform jetzt vernünftig vorbereitet werden. Der Senat hat dafür den Auftrag. Das muss gut umgesetzt werden, da gibt es genug zu tun. Davon wird abhängen, inwieweit die Reform zum geplanten Zeitpunkt starten kann.

[Beifall bei der Linksfraktion]