Nachtragshaushalt für mehr Investitionen in Berlin

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Manuela SchmidtSteffen Zillich

Würden die Einnahmen und Ausgaben im Nachtragshaushalt vom Senat ehrlich geplant, dann stünde Berlin über das Sondervermögen „Infrastruktur der Wachsenden Stadt“ hinaus mindestens eine halbe Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung.

aus dem Wortprotokoll

61. Sitzung
Aktuelle Stunde

Wir kommen nunmehr zur

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung
des Abgeordnetenhauses von Berlin

Nachtragshaushalt für mehr Investitionen in Berlin“

(auf Antrag der Fraktion der SPD)

in Verbindung mit

lfd. Nr. 4:

Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan von Berlin für das Haushaltsjahr 2015 (Nachtragshaushaltsgesetz 2015 – NHG 15)

Vorlage – zur Beschlussfassung –
Drucksache 17/2131

Erste Lesung

 

Präsident Ralf Wieland:

– Für die Fraktion Die Linke jetzt Frau Dr. Schmidt. – Bitte schön, Frau Dr. Schmidt, Sie haben das Wort!

Dr. Manuela Schmidt (LINKE):

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Schneider! Ich würde Sie ja auch gerne loben, aber wissen Sie, wenn Sie selbst heute nur bei Überschriften bleiben, habe ich keinen Grund, Sie zu loben.

[Beifall bei der LINKEN –
Beifall von Andreas Baum (PIRATEN)]

Im Gegenteil: Sie haben mit dem Senat Müller – auch Sie, Herr Regierender Bürgermeister, auch Sie, Herr Finanzsenator haben das – eine neue Zeit angekündigt. Sie wollten für eine neue Zeit stehen: für Investitionen in diese Stadt, für ein Ende dieser imaginären 0,3-Prozentlinie mit mehr Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Das sollte das Credo sein. Doch leider ist keine neue Zeit angebrochen. Noch immer werden Einnahmen versteckt und Ausgaben mal hochgerechnet, mal geleugnet. Sie geben 300 Millionen Euro Mehreinnahmen zu. Tatsächlich sind es aber 800 Millionen Euro, mit denen wir die wirklich wichtigen Entscheidungen für diese Stadt treffen könnten.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Bei den Steuereinnahmen hat der Senat die Ergebnisse der Steuerschätzung vom November fast unverändert übernommen. Herr Kollatz-Ahnen hat es gesagt. Aber damit leugnet er die stetig wachsende Linie der letzten Jahre. Und die zusätzlichen Erstattungen des Bundes für die Kosten der Unterkunft oder auch im Asylbereich werden nicht veranschlagt. Der Senat kommt lediglich der Pflicht nach, die zusätzlich vom Bund bereitgestellten BAföG-Mittel sowie die EU-Mittel aufzunehmen. Wir begrüßen durchaus, dass der Senat hier den politischen Spielraum nutzt und in Hochschulen, Lehrerstellen für die Integration und in ein Sanitärsanierungsprogramm an Schulen investiert.

Doch was ist mit den Ausgaben für die Leistungen an Flüchtlinge? – Der Senat prognostiziert schon jetzt mehr als 20 000 Flüchtlinge in diesem Jahr. Und dennoch sind keine zusätzlichen Mittel im Nachtragshaushalt eingeplant. Die vielen zusätzlich benötigten Kitaplätze, insbesondere für das spätere Einschulungsalter, werden ebenfalls nicht zum Nulltarif zu haben sein. Und großer Posten: Die Minderausgaben für Zinsen werden auch in diesem Jahr bei 350 Millionen Euro liegen. Und Sie unterschlagen das dieser Stadt.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Das Thema BER hat mein Kollege Esser aufgegriffen. Dem schließen wir uns an. Alles in allem: Haushaltsklarheit, verehrter Herr Finanzsenator, die sieht anders aus!

Das Sondervermögen „Infrastruktur der Wachsenden Stadt“ wird mit fast 500 Millionen Euro ausgestattet; so weit, so gut, dafür loben und preisen Sie sich stadtweit. Dem haben wir auch so weit zugestimmt, aber es ist eben auch schon das einzig Gute. Die Überschrift lautet: Der Investitionsstau wird aufgelöst. Doch, verehrte Damen und Herren der Koalition, das gehört doch wohl ins Reich der Märchen. Mit SIWA parkt der Senat Überschüsse aus den letzten Jahren bis auf unbestimmte Zeit in einem Sondervermögen. Im laufenden Haushalt sieht er jedoch keine zusätzlichen Investitionen vor. Die Steuermehreinnahmen aus diesem Jahr sollen 1 : 1 in die Tilgung fließen. Sie erwecken damit den Eindruck, als ob Sie die Stadt mit einem Füllhorn voller Investitionen beglücken würden.

Doch Sie wollen in diesem Jahr erst 34 Millionen Euro der Mittel verwenden. Wahrscheinlich ist das die Summe, die Sie in anderen Bereichen nicht ausgeben. Nicht dass ich glauben würde, dass Sie mehr als 34 Millionen Euro ausgeben können, nein, ich bin mir sogar sicher, dass Sie es nicht schaffen werden. Bleibt abzuwarten, ob nicht sogar wieder pauschale Investitionsmittel in Größenordnungen zurückgegeben werden wie in den letzten Jahren auch. Oder aber Sie nutzen die 34 Millionen Euro für die Bewerbung dieser Stadt für die Olympischen Spiele. 3,4 Millionen Euro haben Sie ausgegeben, um bei 2 Prozent der Bevölkerung mehr Zustimmung für Olympische Spiele zu erreichen. Mit 34 Millionen Euro können Sie da wirklich auf eine breite Zustimmung hoffen.

Aber das, was Sie dann tatsächlich aus dem Sondervermögen finanzieren, soll nur der exklusive Klub der Hauptausschussmitglieder und nicht das Parlament als Ganzes beschließen. Sie haben nicht den Mut zu einer transparenten Debatte in der Stadt, was wie und mit welcher Priorität passieren muss, um den Investitionsstau kontinuierlich abzubauen. Ja nicht einmal die Fachausschüsse wollen Sie einbeziehen. Sie halten weiter fest an verkrusteten Machtstrukturen und Parteienproporz und lehnen es ab, sich aus der Kettenreaktion von Wahlkreisirrationalitäten zu befreien. Ob da nun Schneider-Bad oder Lederer-Bad, Herr Schneider,

[Martin Delius (PIRATEN): Delius-Bad! –
Torsten Schneider (SPD): Ja, Delius-Bad!]

insgesamt liest sich doch die Liste der vorgesehenen Investitionen wie ein Sammelsurium von Köstlichkeiten für die bevorstehenden Wahlen im nächsten Jahr. Herr Schneider! Sie haben sich gepriesen. Vergessen wir doch nicht Herrn Graf! Auch er soll doch in seinem Wahlkreis mit dem Bau eines Multifunktionsbades punkten können. – Nur bleibt leider die Sanierung der vorhandenen Bäder auf der Strecke.

[Beifall bei der LINKEN –
Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Sie haben hier die Standorte für Feuerwehr und Polizei angepriesen. Natürlich sind die Sanierungen dieser Standorte unbestritten notwendig, aber die Auswahl ist nicht nachvollziehbar.

[Torsten Schneider (SPD): Ja, von euch!]

Auch mit Ihrem großzügigen Investitionssegen wollen Sie die Bezirke beglücken. Mehr Geld, aber wo bitte, verehrte Damen und Herren der Koalition, bleibt das Personal? Selbst wenn Personal eingestellt werden darf, kann keiner schnell genug die fehlenden Fachkräfte backen. Schon deshalb ist Ihre Ankündigung der verbalen Brüll- und Prügelstrafe, Herr Schneider, pädagogisch wertlos.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Darüber täuscht dann auch das Angebot der Amtshilfe von BIM, Berlinovo oder der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nicht hinweg. Denn auch hier ist doch schon Landunter. Oder warum sonst haben die Hauptverwaltungen in den letzten Jahren Investitionsmittel zurückgegeben und die Bezirke Bauinvestitionen nicht ausgeschöpft? Hier wird Ihr größter Schwachpunkt deutlich. Der ist und bleibt das Personal. Das ist der Bereich, wo Sie permanent mit Nebelkerzen werfen. Ja, wir brauchen mehr Personal für die wachsende Stadt. Immer wieder versprechen Sie den Hauptverwaltungen, auch den Bezirken mehr Stellen,

[Carola Bluhm (LINKE): Multifunktionspersonal!]

aber einen Plan für ein strategisches Personalkonzept haben Sie immer noch nicht vorgelegt.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Ich sagen Ihnen, wenn Sie nicht umgehend klare Entscheidungen treffen, werden Sie mit dem vorhandenen Personal in diesem Jahr noch nicht einmal die Bauschilder aufstellen können.

Nach dem Zahlenvoodoo Ihres Vorgängers haben Sie leider die Chance auf eine neue Haushaltspolitik verpasst. Auf der Einnahmeseite wird wieder gebunkert, auch auf der Ausgabeseite macht der Senat sparsam Politik. Sie sagten vorhin, Herr Kollatz-Ahnen, der Senat bewege sich in der Tradition des Konsolidierungskurses. Wir sagen, diese Politik bewegt sich in der Tradition des Herrn Nußbaum. Das war Zahlenvoodoo und Trickserei.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Würden die Einnahmen und Ausgaben im Nachtragshaushalt vom Senat ehrlich geplant – und da rede ich nicht nur von den Steuermehreinnahmen, sondern auch von den realen und bekannten Ausgaben –, dann stünde Berlin über das Sondervermögen „Infrastruktur der Wachsenden Stadt“ hinaus mindestens eine halbe Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung. Eine halbe Milliarde für die tatsächlich wichtigen Entscheidungen, für die Menschen in unserer Stadt! Und vor allem könnten wir dann die gewonnenen Spielräume für kontinuierliche und geplante Investitionen nutzen und nicht nur dann vielleicht in die Stadt investieren oder vorgeben zu investieren, wenn zufällig Überschüsse da sind. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN
und den PIRATEN]

Präsident Ralf Wieland:

Vielen Dank, Frau Kollegin! –

...

Präsident Ralf Wieland:

Für eine zweite Kurzintervention hat Kollege Zillich das Wort.

Steffen Zillich (LINKE):

Na ja, Herr Kollege Goiny! Sie melden hier eine Aktuelle Stunde zum Thema Nachtragshaushalt an, haben aber offensichtlich die Unterlagen zum Nachtragshaushalt überhaupt nicht gelesen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Ansonsten könnten Sie nicht zu den Behauptungen kommen, zu denen Sie hier kommen. Wir haben uns diese Unterlagen nicht ausgedacht, sondern der Senat hat sie vorgelegt. Ich lese vor: Anlage zum Haushaltsplan. Übersicht über den Haushaltsplan für das Sondervermögen „Infrastruktur Wachsende Stadt“ SIWA, Haushaltsplan 2015. Ausgaben: investive Baumaßnahmen 32 Millionen Euro, Ausgaben für Investitionsfördermaßnahmen: 2 100 000 Euro. – Das macht insgesamt, ich will es ganz genau machen, 34 100 000 Euro. 34 Millionen und 100 000 Euro plant der Senat aus SIWA im Jahr 2015 auszugeben.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Das ist eine Summe, die wird locker in den nicht verausgabten Investitionsmitteln aus dem normalen Haushaltsplan verschwinden. Null zusätzliche Investitionen im Jahr 2015 aus SIWA.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Das ist die Bilanz, die man daraus ziehen kann. Im Gegenteil: Die 300 Millionen Euro, die Sie zusätzlich nach den Planungen des Senats aus den Steuereinnahmen heben – es werden mehr sein, das ist völlig klar, aber Sie heben erst einmal nur die 300 Millionen Euro –, geben Sie kein Stück für zusätzliche Investitionen aus, sondern sie fließen eins zu eins in die Tilgung. Null neue Linie, sondern die Tilgung hat den Vorrang, und zusätzliche Investitionen werden 2015 mit diesem Haushalt und mit SIWA nicht getätigt.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN –
Udo Wolf (LINKE): Trickserei aufgeflogen!]