Rot-Rote Strategie hat sich bewährt

Es war der friedlichste 1. Mai seit vielen Jahren

85. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin zum 1. Mai in Kreuzberg – Engagement der Anwohner und Polizeikonzept haben sich bewährt!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der 1. Mai als Tag des Eintretens für soziale Gerechtigkeit und für Frieden ist politisiert worden. Die Offensive der Gewerkschaftsbewegung mit einer Kampagne für einen Mindestlohn ist richtig. Ja, von Arbeit muss man leben können! Ja, die Dumpingspirale, insbesondere im Bereich der niedrigen Einkommen, muss beendet werden! Deshalb benötigen wir einen gesetzlichen Mindestlohn, das ist wirtschaftspolitisch vernünftig und auch ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit.

Die Bilanz des 1. Mai kann sich in der Tat sehen lassen. Es war der friedlichste 1. Mai seit vielen Jahren. Es gab weniger Verletzte, es gab weniger Festnahmen, weniger Polizisten waren im Einsatz. Alle angemeldeten Versammlungen verliefen störungsfrei. Das Wichtigste für den 1. Mai in Kreuzberg war jedoch: Die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger, die Berlinerinnen und Berliner, haben diesen Tag für sich wiedergewonnen. Sie fliehen nicht mehr, sie gehen hin. Sie verbarrikadieren sich nicht mehr, sie nehmen das Myfest als ihr Fest an. Sie blicken nicht mehr mit Angst auf diesen Tag, sie gestalten mit. Ja, es ist gelungen, die Spirale entpolitisierter Gewalt am 1. Mai zu durchbrechen!

Ich will daran erinnern, wie sehr sich der 1. Mai 2006 vom 1. Mai im Jahr 2001 in Kreuzberg unterscheidet. Damals gab es Demonstrationsverbote, die Polizei stürmte Feste, es gab ausufernde Straßenschlachten, Hunderte Menschen wurden in Polizeikesseln festgehalten, und es gab Randale von Jugendlichen, die in der Erfahrung aufgewachsen waren, dass so etwas in Kreuzberg am 1. Mai dazugehört. Ich frage Sie: Wer hätte nach dem 1. Mai 2001 gedacht, dass wir heute da stehen, wo wir heute stehen? - Ich bin ehrlich: Ich habe diese Hoffnung nicht gehabt.

Dieser Erfolg hat viele Eltern, er hat vor allen Dingen zwei Voraussetzungen. Die erste ist, dass es eine grundlegende Umkehr in der Berliner Innenpolitik gab. Sie hat zwei Elemente: Das erste ist, dass es eine Abkehr von einer Strategie, einer Politik der Demonstrationsverbote gegeben hat. Ein bewusstes Hinwenden fand statt: Ja, das Demonstrationsrecht gilt auch am 1. Mai!

Auch hier gehören Politik und Protest zu diesem Tag. Es war mit einem, wenn auch langsamem Aufräumen des Mythos verbunden, dass Gewalt in den Vorjahren immer von den politischen Veranstaltungen ausgegangen ist.

Das zweite Element, das vielleicht wichtigere dieser innenpolitische Wende ist vielleicht das konsequente Setzen auf die Deeskalation durch die Polizei. In einer Strategie die Straftaten ahndet, aber Veranstaltungen schützt, hat die Polizei inzwischen eine souveräne Professionalität erreicht, zu der wir der Polizei, den Polizistinnen und Polizisten insbesondere, aber auch der Polizeiführung und dem Innensenator nur gratulieren können.

Dies hat zu einem Perspektivwechsel auf beiden Seiten geführt. In der Polizei hat man erfahren, dass Deeskalation in diesem Sinne funktioniert, dass sie funktionieren kann und dass sie von den Menschen positive Rückmeldungen erhält. Auf der anderen Seite erleben die Kreuzberger die Polizei als Partner und nicht mehr als Gegner. Menschen, die vor 2001 die Erfahrung gemacht haben, dass sie von der Polizei als Gegner und Störer wahrgenommen und auch so behandelt werden, wenn sie sich in SO 36 irgendwo auf der Straße aufhalten, sehen nunmehr in der Polizei einen Partner auch beim Schutz ihrer Feste.

Es gab einen Mentalitätswechsel in dieser Stadt. War Berlin lange dafür bekannt, dass es hier innenpolitische Hau-Draufs und rücksichtslose Polizeistrategie gibt, so ist es nunmehr für professionelle und erfolgreiche Deeskalation bekannt. Das ist gut für die Menschen in dieser Stadt und auch gut für das Ansehen Berlins.

Die zweite und wichtigste Bedingung für den Erfolg liegt im Engagement der vielen Initiativen, Vereine und Anwohner für den 1. Mai in Kreuzberg. Deswegen ist der Erfolg für die Stadt vor allem ein Erfolg der Kreuzberger. Ihnen gilt zuallererst der Dank und der Respekt. Ein Element ist zunächst die Initiative der Bürgermeisterin Cornelia Reinauer. Sie hat zu einem Zeitpunkt, als kaum jemand politisch an das Problem heranwollte, als kaum jemand glaubte, man könne diese Gewaltspirale tatsächlich erfolgreich durchbrechen, als kaum jemand dafür die politische Verantwortung übernehmen wollte, das Risiko und die Verantwortung übernommen und die Initiative ergriffen.

Im Nachhinein hat ein solcher Erfolg immer viele Eltern. Es gerät in Vergessenheit, wie allein gerade Cornelia Reinauer am Anfang mit dieser Initiative war. Aber natürlich hätte das alles nicht ohne die vielen Vereine und Anwohnerinitiativen funktionieren können, die diese Initiative, das Projekt Myfest, getragen haben. Ihr Engagement macht den Erfolg aus. Dafür gebührt ihnen unserer Dank.

Von besonderer Bedeutung ist hier das Engagement der Migrantenorganisationen, der gesamten Migranten-Community. Diesem Engagement ist es sicherlich auch zu verdanken, dass wir in diesem Jahr eine Entwicklung haben, dass unter den Festgenommenen, den Gewalttätigen weniger jugendliche Migranten als in den Vorjahren waren.

Der Erfolg von Myfest ist ein Beispiel dafür, wie Integrationspolitik funktionieren kann. Ich sage hier deutlich mit markigen Worten: Von gescheiterter Integration mit ausgrenzenden Schuldzuweisungen über mangelnde Integrationsbereitschaft mit einer Rhetorik, die den Eindruck erweckt, hier würde zwischen Menschen, die schon immer hier leben und solchen, die nicht hinzugehören, unterschieden, wäre dieser Erfolg niemals zu erreichen gewesen.

Nein! Dieser Erfolg konnte dadurch erreicht werden, dass ein Klima, eine Stimmung geschaffen wurde, in der Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit, in ihrer Vielfalt gemeinsam ein Problem in Angriff genommen haben. Vielfalt war das die Chance des Projektes Myfest.

Es geht hier nicht darum, politischen Protest in Bier- und Bratwurstgunst zu ersticken. Durch die Durchbrechung der Gewaltspirale ist die Voraussetzung dafür geschaffen worden, dass politische Inhalte wieder gehört werden können. Das hat Professor Grottian im Jahr 2001 erkannt. Wenn die radikale Linke nun neue Formen wählt, um ihre politischen Anliegen zu verfechten und damit aus den entpolitisierten Ritualen ausbricht, ist das im Sinne einer Politisierung des 1. Mai durchaus zu begrüßen.

Zum ersten Mal wurde auch in der Vorberichterstattung in diesem Jahr ein Ritual durchbrochen. Zum ersten Mal erinnerte man sich in der medialen Vorberichterstattung an die Veränderungen, die es an diesem Tag gegeben hat und beschwor nicht wieder den 1. Mai als Randaletag herauf. Eine Ausnahme bildete lediglich die »BZ«, die uns wieder einmal den schlimmsten 1. Mai seit Jahren prophezeite. Sie behielt damit Unrecht. Das ist durchaus gut so.

Andererseits zeigt sich auch, wie zäh Rituale sind und wie zäh die Legenden über diese Rituale sind, wenn wir auch in der polizeilichen Kriminalstatistik des Jahres 2005 immer noch die Situation haben, dass Straftaten im Zusammenhang mit dem 1. Mai unter der Rubrik »politische Straftaten links« geführt werden. Das werden wir sicherlich im nächsten Jahr korrigiert haben.

Zum ersten Mal scheint in diesem Haus eine politische Einigkeit darüber zu bestehen, dass die Strategie des 1 Mai, die Strategie des Setzens auf den Menschen, die Strategie der Deeskalation richtig ist. Das ist gut so. Es muss aber trotzdem auch daran erinnert werden, dass dies beileibe nicht immer so war und wie stark insbesondere von Seiten der CDU genau diese Strategieumkehr bekämpft worden ist. Rot-Rot hat diese Frage aufgegriffen und diesen Prozess in Angriff genommen. Sie wurden dabei von den Grünen, teilweise auch von der FDP unterstützt. Dadurch konnte dieser Erfolg erzielt werden.

Es gibt keine Garantie dafür, dass dieser Prozess dazu führt, dass Gewalt und Randale tatsächlich verhindert werden. Hier hat sich aber nachhaltig etwas in dieser Stadt verändert. Wenn wir das gemeinsam darstellen, ist es schon einmal sehr richtig. Dieser Weg ist richtig. Dieser Weg steht für die Veränderung in dieser Stadt unter rot-rot. Dieser Weg muss auch so fortgesetzt werden. - Danke!